0,00% Erstattung für Autismus-Assistenzhund
Ein Urteil über die Nicht-Erstattung für einen Autismus-Assistenzhund einer GKV-Versicherten ist der Anlass für diesen Artikel, der sich um das Urteil sowie die Hilfsmittel-Versorgung generell dreht.
tl;dr Kurzversion
Wer zu faul zum Lesen ist, kann außerdem direkt ans Ende des Artikels zu den Flip Boxes in der Zusammenfassung springen, wo die wichtigsten Aussagen samt Zitat stehen.
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Urteil mit starken Aussagen für GKV-Versicherte
In dem Rechtsstreit geht es um die Frage, ob der Autismus-Assistenzhund für eine GKV-Versicherte erstattungsfähig ist, oder nicht.
Die wenig überraschende Antwort ist, dass es für die GKV (zumeist) nicht so ist. Ausnahmen wurden definiert.
Spannend sind jedoch ein paar Aussagen des Urteils, die für GKV-Versicherte generell wichtig sind! Denn dort wird wörtlich klargemacht, dass GKV-Versicherte nur einen beschränkten Anspruch auf eine Hilfsmittelversorgung haben.
Tenor des Urteils
„Entfällt wegen is‘ nich‘!“, wobei diese Phrase sich aus einer Kette von Argumentarien zusammensetzt. Die Kurzversion lautet:
Mit dem Assistenzhund könne kein Ausgleich der Einschränkung erreicht werden, da die Klägerin grundsätzlich alltägliche Geschäfte auch bereits jetzt ohne einen ausgebildeten Hund bewältigen könne.
Die Sinnhaftigkeit wurde nie in Frage gestellt
Bemerkenswert ist, dass weder Ärzte, noch Gutachter, noch der MDK oder das Gericht Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Autismus-Assistenzhundes haben. Beispielhafte Zitate:
„Anschaffung eines Hundes sei in diesem Fall als ausgesprochen sinnvoll zu erachten“
So haben es einige Ärzte formuliert. Einer besonders eindringlich!
„Auch der Facharzt L., M., hielt es in der Bescheinigung vom 18. Juli 2013 für ausgesprochen sinnvoll, sich einen Hund zuzulegen. Ferner legte die Klägerin das Gutachten des Diplom-Psychologen Dr N. vom 17. April 2015 in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Westerstede 28 C 593/14 vor. Dieser hat die Diagnosen Panikstörung, sozialphobische Symptome mit Rückzugs und Vermeidungsverhalten, Depression gestellt und ausgeführt, dass ergänzend zur Psychotherapie die Haltung eines Hundes zum einen der Stressreduzierung dienen würde und zum anderen würde der Klägerin durch einen Hund die Kontaktaufnahme zu anderen Menschen mit großer Wahrscheinlichkeit leichter fallen und sie würde weniger Vermeidungsverhalten zeigen.“
Die Aussagen sind sehr allgemein gehalten, was der Versicherten später auf die Füße fällt.
GKV wehrte sich zuerst mit formeller Ablehnung
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2019 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Bei einem Autismus-Assistenzhund handele es sich nicht um ein Hilfsmittel im Sinne des SGB V. Es bestehe kein Anspruch auf Kostenübernahme. Die Klägerin habe Geschäfte des alltäglichen Lebens auch vorher erfüllen können, ohne dass der Hund eine entsprechende Ausbildung absolviert habe.
Hier stehen zwei wichtige Dinge:
- Der Autismus-Assistenzhund steht nicht auf der GKV-Hilfsmittelliste; anders als der Blindenhund, der explizit genannt wird.
- Die Versicherte konnte auch ohne das Hilfsmittel – ja, Hunde sind Hilfsmittel – am Leben teilnehmen; die erschwerten Bedingungen spielen in dem Zusammenhang keine Rolle.
Daraufhin versuchte die Versicherte durch begründete Ausweitung die Leistung zu bekommen:
„Ohne zertifizierte Ausbildung als Autismus-Assistenzhund dürfe der Hund allerdings nicht überall hin mitgenommen werden, zum Beispiel dürfe er Supermärkte nicht betreten.“
GKV verweigert Leistung auch nach Einzelfallprüfung
Der nächste Absatz ist komplexer, weshalb ich ihn zerteilt habe.
Einem Anspruch stehe nicht entgegen, dass ein Autismus-Hund anders der Blindenführhund im Hilfsmittelverzeichnis nicht aufgeführt sei. Das Hilfsmittelverzeichnis verkörpere keine abschließende, die Leistungspflicht der Kranken- und Pflegekassen im Sinne einer Positivliste beschränkende Regelung.
Das ist per se erstmal gut! Es ist vergleichbar mit dem offenen Hilfsmittelkatalog der PKV.
Allerdings seien die Voraussetzungen des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Bei einem ausgebildeten Assistenzhund handele es sich grundsätzlich um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V und nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.
Eigentlich logisch, für die strenge Rechtsauslegung jedoch eine wichtige Unterscheidung.
Die GKV muss nicht jegliche Behinderungsfolge ausgleichen
Die Versorgung der Klägerin mit einem ausgebildeten Assistenzhund diene jedoch keinem der in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Versorgungsziele und sei im vorliegenden Einzelfall nicht erforderlich. Der Assistenzhund diene zunächst nicht der Vorbeugung einer drohenden Behinderung.
Stimmt leider, was die Versicherte auch nie in Abrede gestellt hat.
Es sei nicht Aufgabe der Krankenkassen, jegliche Behinderungsfolgen in allen Lebensbereichen auszugleichen.
Noch Fragen?
Obgleich es jedem klar sein müsste, dass die Sozialversicherung kein Vollkasko-System ist, bin ich mir ziemlich sicher, dass die klaren Worte einige wundern, wenn nicht gar wachrütteln.
Der Autismus-Assistenzhund diene nicht der Befriedigung des Grundbedürfnisses des Sehens, Hörens und Gehens oder der Fähigkeit die Wohnung zu lassen, um im Nahbereich liegende Stellen zu erreichen. Eine positive Beeinflussung des Wahrnehmens dieser Grundbedürfnisse reiche dazu nicht aus (unter Hinweis auf die Urteile des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18. Mai 2021 – L 16 KR 304/20 und Urteil vom 26. November 2020 – L 4 KR 367/17)
Eine formelle Ergänzung, die ich nachvollziehbar finde.
Wirtschaftlichkeitsgebot vs GMV bzw. Nützlichkeit
Dabei verkenne die Kammer nicht, dass durch den Hund Hilfe im Alltag gewährt und Erleichterung verschafft werden könne. Die Angaben der Klägerin im schriftlichen Verfahren und auch in der mündlichen Verhandlung dazu, wie ihr Hund ihr helfe, würden nicht von der Kammer bezweifelt.
Nützlich ist nicht das gleiche wie notwendig. Unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots des §12 SGB V wundert diese Argumentation nicht. Sie wird später noch im Details ausgeführt, dabei weitere schlechte Aussagen für GKV-Versicherte bietend.
Keine Krankenbehandlung
Die Ausbildung des Hundes der Klägerin zum Autismus-Assistenzhund diene auch nicht dem Versorgungsziel der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung. Dies sei nur der Fall, soweit der ausgebildete Hund spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden würde, um zu deren Erfolg beizutragen. Der spezifische Bezug zu einer ärztlich verantworteten Krankenbehandlung setze voraus, dass die Verwendung des begehrten Hilfsmittels in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztlich und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehe und für die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen sei. Der Hund sei jedoch nicht in einen ärztlichen Therapieplan eingebunden.
Leider überzeugt diese Begründung.
Erneuter Hinweis auf Wirtschaftlichkeitsgebot
Erforderlich sei ein Hilfsmittel, wenn es ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig sei. Es sei dabei auf die individuellen Verhältnisse im Einzelfall abzustellen. Der Assistenzhund sei auch unter Berücksichtigung des Ziels, die Klägerin bei einem aktiven Leben emotional zu unterstützen, hier nicht im Sinne des § 12 Abs 1 SGB V als notwendig anzusehen. Wie auch die Beklagte ausgeführt und die Klägerin selbst vorgetragen habe, habe der Hund der Klägerin dieser auch schon ohne Ausbildung als Assistenzhund dabei geholfen, soziale Interaktion einzugehen und die Wohnung regelmäßig zu verlassen.
Kurzversion: Es geht auch ohne Ausbildung, würde nur besser mit. Das genügt nicht, weil es vorher schon ging; irgendwie.
GKV leistet nur Basisleistungen
Die Voraussetzungen des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V seien nicht erfüllt. Es werde weder der Erfolg der Krankenbehandlung gesichert noch ein unmittelbarer Behinderungsausgleich erreicht. Im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs seien die Krankenkasse lediglich verpflichtet, einen Basisausgleich zu leisten. Dazu gehörten Hilfsmittel, die die allgemeinen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens beträfen. Die Wirkung eines Assistenzhundes beträfe nicht die Grundbedürfnisse. Es sei nicht ausreichend, dass eine positive Beeinflussung bei der Wahrnehmung dieser erfolge wie die Klägerin ausführe.
Basisschutz, mehr nicht! Wer mehr will, braucht Zusatzversicherungen oder eine gute PKV, keinen billigen Einsteiger-Tarif. End of story, period.
Alle Richter einer Meinung
Erstaunlich ist, dass alle Richter einstimmig entschieden haben.
Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet.
Das ist im Sozialrecht eher selten!
Beschaffungskriminalität vs Formerfordernis
Dem Kostenerstattungsanspruch stets bereits entgegen, dass der Beschaffungsweg nicht eingehalten worden ist.
Ok, blöd aber zumut- sowie nachvollziehbar.
Keine Eile, denn es ging auch ohne die Ausbildung
Die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1. Alt SGB V liegen nicht vor, da die Leistung ernicht unaufschiebbar war.
Dieser Umstand wird mehrfach in verschiedener Ausführung im Urteil aufgegriffen.
Keine Kompromissbereitschaft nachteilig für Versicherte
Einem Anspruch aus § 13 Abs 3 Satz 1 2. Alt SGB V steht entgegen, dass der Beschaffungsweg nicht eingehalten worden ist, weil die Klägerin sich vor der Antragstellung bei der Beklagten auf eine bestimmte Art der Leistung festgelegt hatte.
Dies wird anschließend nochmal genauer ausgeführt. Die Versichert schoss sich diverse Eigentore, weil sie klarmachte, dass die Ausbildung gemacht wird; darauf vertrauend, dass die GKV sie erstattet, obgleich dafür noch keine Hinweise vorlagen. Dies wurde unter anderem darauf zurückgeführt, dass sie tätig wurde, bevor sie Rücksprache mit der GKV gehalten hat.
An einem Kausalzusammenhang fehlt es aber auch, wenn sich der Versicherte unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte.
GKV-Versicherte müssen verstehen, dass sie keine völlig freie Auswahl haben! Dies gilt übrigens auch für schlechte PKV-Tarife. Nur weil jemand in der PKV versichert ist, muss es nicht automatisch besser sein. Es gibt Tarife, die sind schlechter als die GKV. Gerade im Bereich Hilfsmittel, insbesondere viele der bisex Tarife (heterogene Kalkulation).
Die Klägerin hatte nach dem gesamten Akteninhalt bereits vor der Antragstellung bei der Beklagten auf Kostenübernahme sich darauf festgelegt, ihren Hund ausbilden zu lassen.
Dieser Ablauf spricht dafür, dass sich die Klägerin auch bereits vorher festgelegt hatte, unabhängig davon wie eine Entscheidung der Beklagte ausfiel.
Die ist die Begründung anhand des zeitlichen Ablaufs.
Welche GKV-Anspruchsgrundlage für Hilfsmittel gibt es?
Die Anspruchsgrundlage sind § 27 Abs 1 Satz 1 „Krankenbehandlung“ und § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V „Hilfsmittel“.
Nach dieser Norm können Hilfsmittel drei unterschiedlichen Zielrichtungen dienen:
- der Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung (1. Var),
- dem Vorbeugen von Behinderung (2. Var) oder
- dem Behinderungsausgleich (3. Var).
Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung im Hinblick auf die „Erforderlichkeit im Einzelfall“ nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüberhinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs 1 SGB V nicht bewilligen.
Die Beschränkungen für GKV-Versicherte sind klar: Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt nahezu unabdingbar und zusätzlich müssen die o. g. Punkte erfüllt werden.
Offener Hilfsmittel-Katalog der GKV mit Einschränkungen
Im Wesentlichen in seiner unveränderten Fassung verkörpert das Hilfsmittelverzeichnis keine abschließende, die Leistungspflicht der Kranken- und Pflegekassen im Sinne einer „Positivliste“ beschränkende Regelung. Es handelt sich vielmehr um eine reine Auslegungs- und Orientierungshilfe für die medizinische Praxis und hat für die Gerichte nur die Qualität einer unverbindlichen Auslegungshilfe.
Der erste Teil der Regelung ist positiv, da es keine abschließende Positivliste gibt.
Der zweite Teil ist höchst kritisch, denn wenn es nicht verbindlich ist, sondern nur unverbindlich, mündet es im Zweifel in der alten Weisheit: Vor Gericht und auf hoher See sind alle gleich.
Die Versorgung mit einem ausgebildeten Assistenzhund dient hier jedoch keinem der in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Versorgungsziele und ist im vorliegenden Einzelfall nicht erforderlich.
Dumm gelaufen aber nach der bisherigen Begründung nicht mehr verwunderlich.
Medizinischer Nutzen nicht vom GBA bestätigt
Darüber hinaus scheidet der Einsatz auch deshalb aus, weil der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) bislang keine Empfehlung über die Anerkennung eines diagnostischen und therapeutischen Nutzens von Assistenzhunden bei psychischen Gesundheitsstörungen und/ oder Autismus sowie dessen medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse abgegeben hat und einem möglichen Anspruch daher bereits die Sperrwirkung des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V entgegensteht (siehe hierzu die aktuelle Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 18. April 2024 – B 3 KR 13/22 R Rn 15).
Es ist schwierig etwas auszulegen, wenn die Empfehlungsgeber keine Empfehlung abgegeben haben…
Ärzte sind egal, es zählen GBA und Gerichte
Ob Versicherte mit Autismusspektrumsstörung überhaupt einen Anspruch auf einen Assistenzhund zur Sicherung des Erfolges ihrer Krankenbehandlung haben können, ist in Hinblick auf Nutzen und Wirtschaftlichkeit vom GBA zu beurteilen und kann nicht der Einschätzung der beteiligten Ärzte oder einzelner Gutachter unterliegen (vgl BSG, Urteile vom 18. April 2024 – B 3 KR 7/23 R; 13/22 R; 14/23 R zu Mobilitätshilfen).
Bin ich der Einzige, der findet, dass hier richtig Sprengstoff drinsteht? Vermutlich wirft man mir wieder Hysterie vor… 😉
Erinnerung wir uns:
Dabei ist es aber nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), jegliche Behinderungsfolgen in allen Lebensbereichen auszugleichen.
Wasser auf den Mühlen der Kritiker…
GKV sei idF auch nicht zuständig
Formell sei die GKV der falsche Ansprechpartner.
Auch nach dem der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen gewidmeten SGB IX ist die gesetzliche Krankenversicherung nur für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, nicht aber für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuständig (nur BSG, Urteil vom 15. März 2018 – B 3 KR 12/17 R Rn 18). Das BSG hat aktuell bestätigt, dass es an der Abgrenzung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Behinderungsausglich weiter festhält (siehe BSG, Urteil vom 14. Juni 2023 – B 3 KR 8/21 R Rn 17f; Urteil vom 18. April 2024 – B 3 KR 13/22 R Rn 19).
#isso
Der fehlende Behinderungsausgleich
Ein unmittelbarer Behinderungsausgleich liegt bei der Ausbildung zu einem Assistenzhund nicht vor. […] Bei der Bewertung, ob Hilfsmittel dem unmittelbaren oder mittelbaren Behinderungsausgleich dient, handelt es sich um eine vom Senat zu entscheidende Rechtsfrage, so dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht in Betracht kommt.
Auch hier steckt Sprengstoff, oder nicht? Ich finde es sehr bedenklich, dass hier Richtern in Unabhängigkeit von Sachverständigen so viel Macht eingeräumt wird. Also sie sich selbst einräumen! So viel zur Gewaltenteilung…
Zudem: Sind Richter medizinische Sachverständige? Zumeist nicht, daher werden diese nicht um die Einschaltung eines Sachverständigen umherkommen. Egal, wie ich es wende, ich sehe hier einige schwere Probleme.
Problemminimierung nicht Teil der Grundbedürfnisbefriedigung
Soweit der Hund dem Ausgleich der Folgen der Behinderung dienen mag, scheidet ein Leistungsanspruch nach dem SGB V vorliegend aus, weil er hier nicht der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens dient.
Ok. Das stand nie zur Debatte. Es ist „nur“ die Erklärung, warum die Leistung über den Behinderungsausgleich ausscheidet.
Um den Aufgabenbereich der GKV abzugrenzen, ist ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich von der Krankenkasse nach stRspr des BSG nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft.
Eine engstirnige Auslegung. Ich bin mir nicht sicher, ob das gesamte Leben nicht eine unerhört hohe Hürde ist. Wäre die genaue Abgrenzung möglich, wäre folglich bei 99% Nachteilsausgleich die Leistung zu versagen, weil 1% fehlt. Das scheitert nach meinem Verständnis am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Aber es würde ja im Einzelfall geprüft…
Definition der allgemeinen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens
Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (stRspr, vgl nur BSG, Urteil vom 30.September 2015 – B 3 KR 14/14 R – SozR 4-2500 § 33 Nr 48 Rn 18 mwN; BSG, Urteil vom 15. März 2018 – B 3 KR 12/17 R Rn 43 f mwN).
Ok. Fair enough.
99% reichen wirklich nicht…
Eine positive Beeinflussung des Wahrnehmens der Grundbedürfnisse reicht dazu nicht aus. Dabei verkennt der Senat nicht, dass durch einen Behindertenbegleithund Hilfen im Alltag gewährt werden und Erleichterungen verschafft werden.
Ich finde das eine hammerharte Einschränkung. Natürlich kann ich sie im begrenzten Rahmen nachvollziehen, doch möchte ich auf mein 99% Beispiel zurückkommen.
Auch Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich dürfen zulasten der GKV nur abgegeben werden, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen UND die Versorgung dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügt (BSG, Urteil vom 14. Juni 2023 -B 3 KR 8/21 R Rn 19)
Das finde ich nachvollziehbar, denn die medizinische Evidenz würde auch bei der PKV gefordert. Alles andere ist bestenfalls Heilpraktiker, tendenziell Homöopathie; wenn überhaupt.
… da keine unabdingbare Notwendigkeit
Der Assistenzhund ist auch unter Berücksichtigung des Ziels der Partizipation in verschiedenen Lebensbereichen und der Stärkung der Möglichkeit einer individuellen und persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und Gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraums hier nicht notwendig.
Ok.
Vorurteil oder unsaubere Beweisführung?
Den folgenden Passus finde ich… merkwürdig, tendenziell kritisch.
Es drängt sich der Eindruck einer den benötigten Wortlaut aufgreifenden reinen Gefälligkeitsbescheinigung auf.
Wie jetzt? Im kompletten Urteil wird nie – nicht ein einziges Mal – die Sinnhaftigkeit oder Vorteilhaftigkeit bezweifelt. Dennoch kann ein Gutachten als Gefälligkeitsgutachten verworfen werden, weil es den Gesetzeswortlaut innehat?
In meinen Jura-Kursen (BWL-Studium an der Uni; diverse Fachwirtfortbildungen; Sachverständigenausbildung; ISO-Personenzertifizierung) hat man mir beigebracht, dass was im Gesetz steht, immer richtig ist. Das wörtliche verwenden genau dieser Begriffe in Aufsätzen, Gutachten etc. sei daher vorteilhaft, weil über den Zweifel erhaben; wenn kontextual korrekt eingeordnet. Der Kontext wird hier nicht in Abrede gestellt, daher verstehe ich den Einwand nicht.
Aber im Zweifel für den Angeklagten; außer er ist GKV-Versicherter. Und die Richter können ja nicht angeklagt werden, also sind sie über Zweifel erhaben. Ja, hier ist eine starke Prise Salz zu riechen!
Fortführung der Notwendigkeitsbegründung im speziell Fall
Dass der Hund dazu führt, dass die Klägerin häufiger aus dem Haus geht, mit Menschen kommuniziert und er ihr ein Sicherheitsgefühl vermittelt, trifft auf jeden Hund zu, ohne dass dies dazu führt, dass die GKV die Kosten dafür übernehmen muss. Dies sind auch Eigenschaften, die grundsätzlich im Kontakt mit einem Haushund erzielt werden können.
Immer diese unspezifischen Substantive. Leider ist es so, dass der Einzelfall keinen Vorrang gegenüber einer generellen Lösung hat, die zumutbar ist. Dicke Menschen bekommen schließlich auch keine private Fitnessstudios bezahlt, da es allgemein zugänglich Studios tun. Und die Versicherte hatte sich schon das Eigentor geschossen, indem sie erklärte, dass bereits mit Anschaffung ohne Ausbildung eine Besserung eingetreten sei.
GKV-Leistungspflicht ist keine Optimal Versorgung
Lesen und „genießen“. Über eine PKV nachdenken, mindestens aber über sinnvolle Zusatzversicherungen!
Die Klägerin verkennt den Umfang der Leistungspflicht der GKV. Es besteht nur ein Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf die Optimalversorgung (BSG, Urteil vom 15. März 2018 – B 3 KR 12/17 R Rn 44; zuletzt Urteil vom 18.April 2024 -B 3 KR 13/22 R Rn 24 mwN), zumal die GKV auch nach der neueren Rechtsprechung des BSG nicht für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft oder für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuständig ist (vgl BSG, Urteil vom 15. März 2018 – B 3 KR 12/17 R Rn 18).
Hammer, oder nicht? Wer das Optimum will, wird es nicht bekommen, außer es ist zufällig ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig, das Maß des Notwendigen nicht übersteigend.
Fazit und Zusammenfassung
Das Urteil verwundert nicht und überzeugt zu großen Teilen; zumindest mich. Neben dem Problem für Autisten, für die eine PKV und entsprechende Zusatzversicherungen ohnehin schwer zu bekommen sind, ergeben sich klare Aussagen, welche die sub-optimale Versorgung der GKV-Versicherten thematisieren.
Einige davon würde ich als Hammer-Aussagen bezeichnen, da sie mit hohem „impact“ einschlagen, viele dabei kalt erwischend. Denn mal ehrlich: wer es nicht von Berufswegen her denkt, wird sich eher selten mit solchen Themen beschäftigen. Lohnt sich aber! Und wer das nicht alleine will, sollte sich eine Beratung zur PKV buchen.
Zusammenfassung GKV-Hammeraussagen
Zur Erinnerung – oder auch Nutzung in der Beratung – habe ich die wichtigsten Hammer-Aussagen für GKV-Versicherte nochmal aufgelistet.
Natürlich doppelt es sich ein wenig, doch die Zitate muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Es wird mehrfach die eingeschränkte Leistung betont. Es gilt: PKVe sich, wer kann!
Welche Zielrichtung hat ein Hilfsmittel?
Die Antwort steht auf der Rückseite.Drei Aufgaben unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots:
Nach dieser Norm können Hilfsmittel drei unterschiedlichen Zielrichtungen dienen:
• der Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung (1. Var),
• dem Vorbeugen von Behinderung (2. Var) oder
• dem Behinderungsausgleich (3. Var).
Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung im Hinblick auf die „Erforderlichkeit im Einzelfall“ nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüberhinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs 1 SGB V nicht bewilligen.
Ist die GKV-Hilfsmittelliste abschließend?
Die Antwort steht auf der Rückseite.Nein, es ist ein offener Katalog!
Zitat: „Das Hilfsmittelverzeichnis verkörpere keine abschließende, die Leistungspflicht der Kranken- und Pflegekassen im Sinne einer Positivliste beschränkende Regelung.“Wie verbindlich ist die GKV-Hilfsmittelliste?
Die Antwort steht auf der Rückseite.Gering, es ist nur eine Orientierungshilfe!
Zitat: „Im Wesentlichen in seiner unveränderten Fassung verkörpert das Hilfsmittelverzeichnis keine abschließende, die Leistungspflicht der Kranken- und Pflegekassen im Sinne einer „Positivliste“ beschränkende Regelung. Es handelt sich vielmehr um eine reine Auslegungs- und Orientierungshilfe für die medizinische Praxis und hat für die Gerichte nur die Qualität einer unverbindlichen Auslegungshilfe.“
Wer entscheidet im Einzelfall?
Die Antwort steht auf der Rückseite.Nicht Ärzte, sondern der GBA und Gerichte!
Zitat: „Ob Versicherte mit Autismusspektrumsstörung überhaupt einen Anspruch auf einen Assistenzhund zur Sicherung des Erfolges ihrer Krankenbehandlung haben können, ist in Hinblick auf Nutzen und Wirtschaftlichkeit vom GBA zu beurteilen und kann nicht der Einschätzung der beteiligten Ärzte oder einzelner Gutachter unterliegen (vgl BSG, Urteile vom 18. April 2024 – B 3 KR 7/23 R; 13/22 R; 14/23 R zu Mobilitätshilfen).“
Und: „Ein unmittelbarer Behinderungsausgleich liegt bei der Ausbildung zu einem Assistenzhund nicht vor. […] Bei der Bewertung, ob Hilfsmittel dem unmittelbaren oder mittelbaren Behinderungsausgleich dient, handelt es sich um eine vom Senat zu entscheidende Rechtsfrage, so dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht in Betracht kommt.“
Muss die GKV alle Behinderungen ausgleichen?
Die Antwort steht auf der Rückseite.Nein, nur Grundversorgung!
Zitat: „Es sei nicht Aufgabe der Krankenkassen, jegliche Behinderungsfolgen in allen Lebensbereichen auszugleichen.“Wann ist ein Hilfsmittel erforderlich?
Die Antwort steht auf der Rückseite.Wirtschaftlichkeitsgebot
Zitat: „Erforderlich sei ein Hilfsmittel, wenn es ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig sei.“
Und: „Im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs seien die Krankenkasse lediglich verpflichtet, einen Basisausgleich zu leisten.“
Reicht es, dass ein Hilfsmittel hilft?
Die Antwort steht auf der Rückseite.Nein, es gelten mehr Bedingungen!
Zitat: „Es sei nicht ausreichend, dass eine positive Beeinflussung bei der Wahrnehmung dieser erfolge wie die Klägerin ausführe.“Wie umfangreich muss der Ausgleich stattfinden?
Die Antwort steht auf der Rückseite.100%, 99% genügen nicht!
Zitat: „Um den Aufgabenbereich der GKV abzugrenzen, ist ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich von der Krankenkasse nach stRspr des BSG nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft.“
Und: „Eine positive Beeinflussung des Wahrnehmens der Grundbedürfnisse reicht dazu nicht aus. Dabei verkennt der Senat nicht, dass durch einen Behindertenbegleithund Hilfen im Alltag gewährt werden und Erleichterungen verschafft werden.“